Gisela Seidler
„Ich würde nicht herkommen!“
Eine Asylanwältin spricht über den Umgang des deutschen Rechtssystems mit homosexuellen Geflüchteten.
Kürzlich konnte sie einem Mandanten, der vor zwölf Jahren kurz vor der Abschiebung stand, zur Einbürgerung gratulieren: Wegen solcher Erfahrungen macht Gisela Seidler ihren Beruf gerne. Die Rechtsanwältin arbeitet seit 23 Jahren im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts. Manche Klient*innen betreut sie über viele Jahre hinweg. Beim Gespräch in ihrer Kanzlei im Münchener Westend berichtet sie über ihre Erfahrungen mit homosexuellen Geflüchteten. Obwohl es ein emotionales Thema ist, spricht sie sachlich – über diffuse Rechtslagen, Willkür, Schikane und desillusionierte Flüchtlinge.
Sie vertreten immer wieder Menschen, die in ihren Heimatländern wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden. Wie geht das deutsche Rechtssystem mit solchen Leuten um?
Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom November 2013 hat sich die Rechtslage stark verändert. Bis dahin galt es als zumutbar, dass Menschen ihre jeweilige Sexualität im Heimatland heimlich ausleben. Seit dem Urteil gilt das als nicht mehr zumutbar; jetzt reicht es schon aus, wenn Homosexualität in dem Land strafbar ist, ohne dass der Schutzsuchende selbst mit Strafe bedroht ist.
Also müsste sich die Situation für homosexuelle Geflüchtete hierzulande sichtbar verbessert haben?
Die Rechtsdurchsetzung ist ein dauernder Kampf. Kürzlich hat ein Gericht gegen einen meiner Mandanten entschieden, dass der Senegal für ihn sicher sei. Die Begründung: Die letzte Verurteilung von Homosexuellen habe 2016 und damit vor einiger Zeit stattgefunden. Ich habe dagegen herausgefunden, dass Betroffene seitdem wieder festgenommen und im Gefängnis geschlagen wurden. Die Festgenommenen wurden zwar freigesprochen, aber nur aus Mangel an Beweisen. Wenn jemand freigesprochen wird, weil man ihm die Tat nicht nachweisen kann, dann heißt das ja, dass sie immer noch als strafbar angesehen wird. Das Strafgesetz wird dort also noch immer angewandt.
Muss es sich immer um staatliche Verfolgung handeln? Wie ist es, wenn jemand von homophoben Banden verfolgt oder von der eigenen Familie geächtet wird?
Ich betreue auch viele Menschen, die wegen nichtstaatlicher Verfolgung anerkannt wurden. Hier müssen wir zusätzlich nachweisen, dass ihnen der Heimatstaat keinenSchutz bietet, entweder weil er nicht kann oder nicht will. Eine Anerkennung kann nur dann erfolgen. Ich hatte viele Fälle aus Uganda und dem Senegal, wo es sich fast durchweg um nichtstaatliche Verfolgung handelte und die anerkannt wurden. Im Senegal mangelt es an der Schutzwilligkeit des Staates, in Afghanistan fehlt es teilweise schon an der Schutzfähigkeit.
Der Bundestag hat zugestimmt, die Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Die Grünen wollen den Gesetzesentwurf im Bundesrat blockieren. Wie würde sich die Gesetzeslage
auf LGBT*-Flüchtlinge auswirken?
Natürlich hätte es negative Auswirkungen auf die Verfahren – aber auch auf die Wartezeit der Flüchtlinge. Betroffene Flüchtlinge dürften weder arbeiten, noch dürften sie aus der Erstaufnahmeeinrichtung ausziehen. Ich bin aber optimistisch, dass das Gesetz nicht zustande kommt.
Wie weisen Sie bei einer Anhörung nach, dass Ihr Mandant wegen seiner Sexualität verfolgt wird?
Das ist gar nicht so einfach – das hat man ja nicht schwarz auf weiß vorliegen. Aber man kann bestimmte Aktivitäten nachweisen. Viele zeigen Fotos, auf denen sie in einschlägigen Bars und Diskotheken oder auf dem Christopher Street Day zu sehen sind. Manche sind auch öffentlich aufgetreten, sind auf dem Cover von Magazinen zu sehen und haben Interviews über ihre Geschichte gegeben. Das wird als glaubwürdig angesehen. Niemand würde sich im Bayerischen Landtag auf ein Podium setzen und sagen: „Ich bin schwul!“, wenn er es nicht ist. Das Risiko ist einfach viel zu groß, wenn es nicht stimmt. Ein Sexualpartner oder eine Sexualpartnerin kann auch als Zeuge aussagen. Schwieriger wird es, wenn sich jemand Zuhause verkriecht. Diesen Leuten entgegnen Behörden und Gerichte meistens: Wenn du dich verstecken willst, dann kannst du das auch in deinem Heimatland tun.
Wie erfolgreich sind Sie damit, die Homosexualität der Mandanten nachzuweisen?
Ich nehme vor allem aussichtsreiche Fälle an und habe in dem Bereich auch alle Fälle gewonnen. Für aussichtslose Fälle fehlt mir leider die Zeit. Problematisch ist zum Beispiel, wenn jemand bereits mehrere Jahre in Deutschland lebt und erst dann mit seiner sexuellen Orientierung herausrückt und dafür Schutz bekommen möchte. Das kann man dann nur bis zu einem gewissen Grad mit Scham erklären. Bei den anderen Fällen sorge ich dafür, dass ich von Anfang an bei den Anhörungen mitdabei bin.
Was können Sie als Rechtsanwältin bei der Anhörung beim BAMF bewirken?
Man kann schon bei der Anhörung dafür sorgen, dass alles ins Protokoll kommt. In einem Fall wurde einer meiner Mandanten in der Haft gefoltert, da sagte der Anhörer vom BAMF: „Das ist alles so schrecklich, das will ich gar nicht hören.“ Er ist aber nicht derjenige, der die Entscheidung trifft, sondern ein Entscheider in Berlin. Wenn dieser das Protokoll bekommt und da steht nichts von Folter - also nichts Verfolgungsrelevantes – drin, dann wird er den Antrag natürlich ablehnen. Dem kann ich als Anwältin durch gezieltes Nachfragen bei der Anhörung vorbeugen.
Was spielt noch eine Rolle?
Wer die Entscheidung beim BAMF trifft und mit welchen Richter*innen man es zu tun hat. Manche glauben einem schon mal grundsätzlich gar nichts, sind Argumenten nicht zugänglich und hören auch nicht neutral zu. Dann ist man ziemlich aufgeschmissen. Und man begegnet diesen Menschen immer wieder; manche Leute beim Gericht oder beim BAMF bearbeiten seit 15 Jahren dasselbe Land.
Sexuelle Orientierung als Verfolgungsgrund ist ein sehr intimes Thema. Wie neugierig sind die Behörden?
Die fragen nicht: „Wie oft haben Sie Sex miteinander?“ Aber sie wollen schon wissen, ob man mit seinem Partner bzw. seiner Partnerin ausgeht. Auch Gefühle werden angesprochen, ob man sich zueinander hingezogen fühlt, wann und wie man seine sexuelle Orientierung entdeckt hat. Es gibt einen Fragenkatalog des Bundesamtes, der die sexuelle Orientierung abfragt. Der geht aber nicht zu sehr ins Intime. Die Fragen sindsoweit ok, das hat sich in den letzten Jahren verbessert. Aber es werden viel mehr Anträge mit teilweise abstrusen Begründungen abgelehnt.
Zum Beispiel?
Der Verweis auf die inländische Fluchtalternative ist in den letzten zwei Jahren
immer häufiger geworden – auch, wenn diese gar keine Option ist. In Uganda zum Beispiel ist Homosexualität strafbar, und zwar im ganzen Land. Lesbische Frauen werden dort oft vergewaltigt. Das nennt man dort „korrektive Vergewaltigung“. Deren Asylantrag wird mit der Begründung abgelehnt, sie können ja in einem anderen Landesteil leben. Das ist in Uganda natürlich Quatsch. Das Land ist nicht in Herrschaftsgebiete unterteilt und auch in anderen Landesteilen kommt das mit der Homosexualität irgendwann raus.
Woher stammt die Idee, man könnte innerhalb des Landes fliehen?
Das Konzept der inländischen Fluchtalternative wurde für Länder entwickelt, in denen Teile nicht unter staatlicher Kontrolle sind. Wenn man im Zentralirak von Saddam Hussein verfolgt wurde, sollte man zunächst in den kurdischen Gebieten im Norden Schutz suchen, denn dort hatte das Regime keinen Zugriff. Solche unterschiedlichen Herrschaftsgebiete gibt es in Uganda aber nicht. Wie das die Rechtsprechung beurteilen wird, ist noch nicht klar. Zu den Ugandafällen liegen noch keine Gerichtsentscheidungen vor. Die haben sich alle aufgestaut und werden voraussichtlich in diesem Jahr entschieden.
Ist Deutschland ein freundliches Land für Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden?
Ich kann vielleicht nicht für das ganze Land sprechen, aber zumindest für Bayern gilt: Das ist kein flüchtlingsfreundliches Land mehr. Die Menschen haben durch den Umbau des Asylsystems wirklich sehr schlechte Chancen auf Anerkennung. Dazu kommt viel Schikane durch die Behörden.
Inwiefern werden diese Menschen schikaniert?
Man versucht bewusst, Menschen, die einen berechtigten Schutzanspruch haben, rechtlos zu stellen. Bayern ist Vorreiter bei den Ankerzentren. Dabei sind die homophobsten Orte in Deutschland Flüchtlingslager! Rauskommen können sie aber auch nicht: Wegen der wieder eingeführten Residenzpflicht sind sie 24 Monate an den Landkreis des Erstaufnahmelagers gebunden, sind also eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit. Einer meiner Mandanten lebt seit über einem Jahr im Ankerzentrum in Bamberg, sein deutscher Verlobter ist hier in München. Mein Mandant hat den Antrag gestellt, dass er für eine Woche das Zentrum verlassen kann, um mit
seinem Verlobten Weihnachten zu feiern. Das wurde abgelehnt.
Wie reagieren ihre Klient*innen auf solche Erfahrungen?
Das Deutschlandbild vieler ist noch von der Willkommenskultur aus dem Jahr 2015 geprägt. Doch dass die bayerische Abschreckungspolitik es geschafft hat, die Stimmung im Land in so kurzer Zeit zu drehen, schockiert mich sehr. Für viele Homosexuelle wiederum ist es ein Schock, wenn sie hierher kommen und dann in einem Ankerzentrum landen. Die Betroffenen sind der Gewalt durch homophobe Mitbewohner ausgeliefert. haben kein Geld und keinen Zugang zu Rechtsberatung. Ich an ihrer Stelle würde nicht herkommen!
Text &
Interview: Alexander Holzer
Illustration: Franziska Romana